Mein Weg durch die Trauma Therapie nach 10 Fehlgeburten

30. Mai 2015 - Verborgene Gefühle

 

Wo stehe ich?

Ich hatte in den vergangenen Jahren 10 Fehlgeburten und habe dabei 12 Kinder verloren. Nach meiner letzten Fehlgeburt riet mir mein Frauenarzt zu einer Therapie.

 

So ging dann die Suche nach einem geeigneten Therapeuten los. Und das war gar nicht so einfach. Über meine Krankenkasse fand ich eine Webseite auf der ich Therapeuten innerhalb meiner Stadt bzw. meines Bezirkes gezielt suchen konnte.

Naja, gezielt ist bei mir etwas anderes, denn obwohl ich genau definierte was ich suchte, waren die Suchergebnisse gespickt mit Kindertherapeuten und Therapeuten, die nur Privatpatienten annehmen.

Also hieß es, diese erst einmal alle heraus zu filtern. Ok, das war geschafft.

Der nächste Schritt hieß telefonieren.

Ich weiß nicht, bei wie vielen Therapeuten ich angerufen habe bis ich endlich eine Therapeutin mit freien Plätzen gefunden hatte. Ihre Therapieform war die Gesprächstherapie.

In den Sitzungen behandelten wir aktuelle Themen und anfangs ging es mir auch wirklich besser.

Das Problem war nur, dass mein eigentliches Problem nicht gelöst werden konnte.

Irgendwann empfahl sie mir, mir einen Therapeuten zu suchen, der auf Traumatherapie spezialisiert ist.

Also begann das ganze Spiel von vorn. Dieses Mal fand ich keinen, der freie Plätze hatte.

 

Kommissar Zufall kam mir zu Hilfe. Beim surfen im Netz stieß ich am Samstag, den 16. Mai um 19:49 Uhr auf eine interessante Webseite. Da stand: „Herzlich Willkommen!! Ich bin Heilpraktikerin für Psychotherapie und habe mich auf Trauerbewältigung und Traumatherapie spezialisiert. Ich arbeite mit wingwave (ähnlich EMDR) und mit Brainspotting und in Kombination mit inneren Bildern.“

Weiterlesend stieß ich auf die Hinweise, dass sie auf die Verarbeitung nach Fehlgeburten, Totgeburten und Schwangerschaftsabbrüchen spezialisiert sei und Frauen auch in der Kinderwunschzeit begleiten würde. Also Themen, die mich betrafen.

 

Unter ihrer Telefonnummer stand, dass sie heute bis 20:00 Uhr für Fragen erreichbar wäre.

 

Was hatte ich zu verlieren? Nichts. Also rief ich an …

 

… und zum ersten Mal fühlte ich mich verstanden und sicher. Ich brauchte ihr meine Erkrankung nicht erklären. Sie kannte sich sowohl mit PCO, als auch mit der Insulinresistenz aus. Wusste wie die beiden Erkrankungen behandelt werden und was sie für Auswirkungen auf betroffene Frauen haben.

 

Es tat so gut einfach mal nur über meine Sternchen reden zu können, erzählen zu können wie es mir ging. Die Therapeutin war mir sofort sympathisch und wir verblieben so, dass ich bei meiner Krankenkasse nachfragen würde ob diese die Kosten für die Therapie übernehmen würde.

 

Gleich am Montag, den 18. Mai erkundigte ich mich bei meiner Krankenkasse und erfuhr eine Ablehnung, da Kosten für Heilpraktiker nicht übernommen werden.

 

Ok, dann eben nicht.

 

Am Abend telefonierte ich wieder mit ihr. Wir vereinbarten einen ersten 2-stündigen Termin zum gegenseitigen Kennenlernen für Freitag, den 29. Mai.

 

Ich war neugierig und freute mich auf diesen Termin.

 

Endlich war der Tag gekommen. Nach der Arbeit fuhr ich in den Wedding zu ihrer Praxis.

 

Sie bot mir einen Tee an. Ich suchte mir einen Entspannungstee aus und wir gingen mit unseren Teetassen in den Nachbarraum. Dort standen an einem kleinen Tischchen 2 bequem aussehende Stühle. Und sie sahen nicht nur so aus, sie waren es auch. Der ein oder andere Leser wird sicherlich nachvollziehen können, wie wichtig ein bequemer Stuhl ist, wenn man längere Zeit darauf sitzen muss.

 

Wir unterhielten uns über meine Fehlgeburten. Dabei erzählte ich ihr relativ gefühlsneutral die wichtigsten Fakten. Das kann ich mittlerweile relativ gut, denn im Laufe der Jahre habe ich gelernt meine Gefühle zu verstecken und nicht hervor zu lassen wenn ich nicht alleine bin. Mit anderen Worten, ich habe gelernt zu „überleben“.

 

Für das Gelingen der Trauma-Therapie ist dies natürlich kontraproduktiv. Ich muss also lernen, Gefühle wieder zuzulassen und muss mich ihnen stellen, muss mich meiner Trauer stellen.

Wenn ich ehrlich bin, das macht mir Angst. Gedanken wie: „Was passiert wenn ich es nicht mehr abschalten kann?“, „Will ich meinen Schmerz und meine Trauer wirklich durchleben?“, „Geht es mir nicht gut wenn ich einfach alles so lasse wie es ist?“ und ähnliches gingen mir durch den Kopf.

 

Aber ich glaube, ich muss da durch. Ich muss endlich meine Trauer, meinen Schmerz, meine Wut annehmen, muss lernen mich anzunehmen.

 

Momentan kommen meine Gefühle nur zum Vorschein wenn ich aus meinem Buch „Abschied von Selina“ laut vorlese. Das sind meine wahren Gefühle und Gedanken schwarz auf weiß. Nicht einfach nur Zahlen und Fakten bei denen man so tun kann, als wäre es das Leben eines anderen. Das wird also unser Weg werden um meine Gefühle, den Schmerz und die Trauer hervor zu holen.

 

Ich brauche einen Rettungsanker. Irgendetwas, was mich im Notfall wieder positiv erhellt. Sofort habe ich das Bild meines kleinen Neffen vor Augen und mein Herz erfüllt sich mit Liebe und Zuneigung. Er ist mein Rettungsanker.

 

Nach 2 Stunden Gespräch und mit einem neuen Termin im Kalender fuhr ich nach Hause. Meine Gedanken kreisten noch lange und ich schlief nur sehr schwer ein.

 

Aber ich habe einen Entschluss gefasst: Ich will da durch. Ich will meine Gefühle nicht mehr verstecken. Ich will meine Trauer annehmen und verarbeiten. Ich möchte lernen loszulassen, für mich und auch für meine Sternchen. Denn loslassen heißt nicht vergessen.

15. Juni 2015 - Schutzmechanismen

 

Heute war meine zweite Sitzung.

Nach einer herzlichen Begrüßung gingen wir wieder mit 2 Teetassen bewaffnet in den kleinen Raum mit den zwei schwarzen Stühlen.

 

Meine Therapeutin erkundigte sich, wie es mir ging und wie es mir nach der letzten Sitzung ergangen sei. Dann stiegen wir wieder ins Thema ein. Dieses Mal begleitet durch eine taktile Gehirn Hemisphären Stimulation. Durch diese Stimulation soll eine optimale Zusammenarbeit der linken und rechten Gehirnhälfte gefördert werden, wodurch eine fließende Aktivierung von neuronalen Vernetzungen entsteht. Dies soll mir helfen mich zu entspannen, Blockaden aufzulösen und eine erfolgreiche Verarbeitung traumatischer oder stressbedingter Erlebnisse zu bewirken.

 

In der vergangenen Woche hatte ich mir meine alten Tagebücher und Aufzeichnungen hervorgeholt und alle Passagen zu meinen Fehlgeburten abgeschrieben. So entstand eine 31-seitige Auflistung von Fakten und Gefühlen.

 

Durch diese Arbeit kamen verdrängte Erinnerungen und Gefühle wieder zum Vorschein, die ich sonst nicht mehr problemlos aus meinem Gedächtnis abrufen konnte. Zu tief vergraben, zu tief verdrängt. Und trotzdem konnte ich diese Informationen wieder beinahe gefühlsneutral vorlesen. Obwohl ich doch genau wusste, dass dies meine Geschichte ist, konnte ich die Tür zu meiner Gefühlswelt vor meiner Therapeutin verschlossen halten.

 

Also griffen wir wieder auf mein Buch zurück. Und wie schon beim letzten Mal drängten sich die Gefühle unaufhaltsam hervor. Alle über die Jahre hinweg aufgebauten Mauern waren schon nach wenigen Zeilen rissig und die Trauer und der Schmerz bahnten sich ihren Weg hinaus. Tränen liefen mir über die Wangen und meine Stimme brach.

 

Wir sprachen darüber, was das Wort Mama für mich bedeutet. Dass auch ich eine Mama bin, auch wenn ich keinem meiner Kinder das Leben schenken konnte. Das ich keine „Nichtmutter“ bin, auch wenn Außenstehende mich so sehen. Selbst ich bezeichne mich manchmal so.

 

Eine kurze Anekdote zum Wort Mama: Ich musste erfahren, wie weh es tut, wenn ein fremdes Kind zu einem Mama sagt, weil es noch klein ist und den richtigen Namen noch nicht aussprechen kann. Natürlich korrigiert man das Kind und mit der Zeit lernt es den richtigen Namen zu verwenden. Womit ich nicht gerechnet hatte war, dass dies dann nochmals so weh tut, wenn nun statt Mama der richtige Name benutzt wird.

 

Mama sein heißt lieben und sein Kind vor allem Bösen zu beschützen. Es heißt aber auch zu akzeptieren, dass man nicht alle Fäden in der Hand halten kann, dass es Situationen gibt, über die wir keine Macht haben. Meine Kinder konnte ich nicht beschützen, egal was ich versucht habe. Ich habe vor und während meiner Schwangerschaften immer versucht alles richtig zu machen und konnte trotz allem die Fehlgeburten nicht verhindern.

 

In einem meiner Gedichte heißt es: „Und keiner ahnt, wie es mir geht, wie’s innen drinnen um mich steht.“

Und genau so war es auch. Ich habe aufgehört über meine Gefühle zu reden, habe einfach in den Augen aller wieder funktioniert und mein Leben weiter gelebt. Nur wenn ich alleine war konnte ich weinen und mich so geben, wie ich mich wirklich fühlte. Die einzige Möglichkeit meinen Gefühlen, meinem Schmerz, meiner Trauer, aber auch meiner Wut Ausdruck zu verleihen war in meinen Gedichten.

 

Schon Hannah Lothrop schrieb in ihrem Buch „Gute Hoffnung – jähes Ende“: „Außenstehende können die Trauer von Eltern, die ihr Kind >>nicht gekannt<< haben, nicht nachvollziehen, weil sie keine Vorstellung von der Tiefe der Bindung haben.“

 

Ich habe meine Kinder vom ersten Tag an geliebt, habe mit ihnen gesprochen und ihnen erzählt wie unser Leben aussehen könnte wenn sie erst geboren wären.

 

Um besser mit meinem Schmerz umgehen zu können steht stellvertretend für meine 12 Kinder immer nur Selina. Es ist ihre Seele, die auf eine neue Chance wartet. Wenn ich von meinen Kindern träume oder sie versuche in meinen Gedanken Gestalt annehmen zu lassen ist da immer nur mein kleines Mädchen. Sie verkörpert für mich alles.

 

Meine Therapeutin bat mich mir Selina vorzustellen und mit ihr laut zu reden, ihr meinen Schmerz und meine Trauer zu erzählen, ihr zu sagen wie sehr ich sie liebte und wie sehr ich sie vermisse. Sofort verkrampfte sich alles in mir. Um meinen Brustkorb legte sich ein stählernes Korsett, welches sich immer mehr zuzog und mir nach und nach die Luft zum Atmen nahm. Ich konnte es nicht. Hatte Angst, Angst sie nicht lang genug vor meinem inneren Auge halten zu können, Angst ihr auch meine Wut entgegenzuschleudern weil sie mich immer wieder verlassen hatte. Ja, Wut. Auch wenn mich dieser Gedanke erschreckt, aber trotz all meiner Liebe zu ihr, trotz aller Sehnsucht existiert in mir auch diese Seite.

 

Meine Therapeutin verstand meine Weigerung und fragte mich ob es für mich in Ordnung wäre, wenn sie an meiner statt mit Selina reden würde. Ich willigte ein. Sie bat mich währenddessen an Selina zu denken. Wie ein Mantra sprach sie nun leise und ruhig immer wieder den Satz: „Selina, Deine Mama liebt und vermisst Dich.“ Immer noch begleitet von der taktilen Gehirn Hemisphären Stimulation entspannte ich langsam wieder und das enge stählerne Korsett verlor an Substanz und löste sich langsam auf. Ich spürte die Berührungen der Therapeutin und hörte ihre Worte und versank trotzdem in meiner eigenen Welt. Gedanken was ich meinem Kind alles geben wollte, mit ihm erleben wollte zogen durch meinen Kopf. Es waren schöne Gedanken. Alles war so friedlich und ruhig. Erst als ich meine Augen wieder klar auf sie gerichtet hatte, hörte sie auf und mir ging es wieder besser.

 

Ein weiteres Thema der heutigen Sitzung war Egoismus. Bin ich egoistisch weil ich meinen Kinderwunsch über alles andere stelle? Weil mir nichts mehr wirklich wichtig ist und alles mehr oder weniger in den Hintergrund der Prioritäten meines Lebens rückt? Weil ich alles mir mögliche tue, um meine kleine Selina zu mir zurück zu holen, ohne zu wissen ob sie es überhaupt möchte. Weil ich weine und traurig bin und sie doch aber niemals die Chance hatte zu weinen oder zu lachen. Darf ich überhaupt egoistisch sein?

Ja, ich darf es.

Und ja, Selina liebt mich, denn sonst würde sie mich nicht in meinen Träumen und in meinen Gedanken besuchen. Tröstliche Gedanken.

 

Viel zu schnell waren die zwei Stunden um und wir vereinbarten einen neuen Termin.

 

Ergebnis dieser Sitzung: Der Zugang zu meinen Gefühlen funktioniert noch immer nur über meine Gedichte. Und selbst dann nicht für lange. Schon nach ein paar Minuten verschließen sich die Mauerrisse wieder. Daran muss ich arbeiten. Für mich und für meine Sternchen.

22. Juni 2015 - Wut, Hass und Todessehnsucht

 

Begrüßung, Tee wählen und mit der Teetasse in der Hand in den gemütlichen kleinen Nebenraum gehen und kurz über die letzte Sitzung sprechen - ein kleines Ritual. Ein schönes Ritual.

Ich bin angekommen, fühle mich sicher und habe keine Angst über meine Gefühle zu reden. Ich weiß, dass ich hier ernst genommen und verstanden werde.

 

Welche Gefühle tragen wir nach dem Verlust unseres Kindes in uns? Ganz klar, Schmerz, Trauer, Verzweiflung. Aber auch Liebe und Wut.

 

Wut auf mich, weil ich krank bin und mein Kind nicht halten konnte. Wut auf die Ärzte, die vielleicht etwas übersehen haben. Wut auf die Krankenkasse, die selbst die Kosten für die Blutuntersuchung des Killerzell-Immunglobulin-like-Rezeptor-Genotyps (KIR-Genotyp) nicht übernehmen wollen. Wut

auf das Finanzamt, das die Kosten der Kinderwunschbehandlung nicht als Belastung anerkennt. Und Wut auf unseren Staat, der durch seine Gesetze so vielen unfreiwillig kinderlosen Frauen bzw. Paaren Steine in den Weg legt, die kaum überwunden werden können.

 

Immer wieder Wut. Ob berechtigt oder nicht, spielt keine Rolle. Die Gefühle sind da.

 

Aber die schlimmste Wut in mir, ist die Wut auf mein Kind. Die schlimmste deshalb, weil ich mich dafür schäme, sie überhaupt zu haben. Ich will sie nicht. Ich will nicht wütend auf Selina sein oder ihr Vorwürfe machen. Aber ich tue es.

 

„Ich hab‘ sehr viel in Kauf genommen, nur für Dich!“

Warum hast Du mich hier allein gelassen? Hast Du denn nicht gespürt, dass ich alles für Dich tat und auch weiter für Dich getan hätte? Ich habe alle meine Lebensinhalte nur auf Dich ausgerichtet. Und trotzdem bist Du wieder von mir gegangen. Ist das fair?

 

Es sind Vorwürfe, die aus dem Schmerz heraus geboren sind, die eigentlich völlig irrational und unlogisch sind, aber sie sind da.

 

Mit dieser Wut kommt die Scham, begleitet von Schmerz und von Hass. Hass auf mich selbst. Ich fühle mich wertlos und unnütz, habe das Gefühl versagt und nicht genug getan zu haben, suche nach Fehlern, die ich gemacht habe und gebe mir die Schuld am Tod meines Kindes.

 

Immer wieder die Frage nach dem WARUM?

 

Bei meinen ersten Fehlgeburten konnte ich mir einreden es lag an meinem Gesundheitszustand. Ich hatte eben zu viele männliche Hormone, war zu wenig Frau. Ich konnte mir einreden, mein Kind hätte sich deshalb nicht richtig entwickeln können und wäre deswegen von mir gegangen.

 

Jetzt kann ich es nicht mehr. Mein Hormonhaushalt hat sich seit der Behandlung der Insulinresistenz und dem Ovariendrilling wegen des PCO’s normalisiert. Alle Werte liegen im Normalbereich. Warum also hatte ich trotzdem wieder Fehlgeburten? Warum konnte ich meine Kinder trotzdem nicht halten?

 

Ich weiß es nicht.

 

Eine Zeit lang ging es mir so schlecht, dass ich den Schmerz und die Leere in mir mit Schmerz bekämpft habe. Ich habe mich geritzt. Immer und immer wieder. Einfach um einen anderen Schmerz zu fühlen. Anfangs auf den Armen, später um es vor anderen zu verbergen auf den Oberschenkeln. Sie waren zum Schluss übersäht mit vielen kleinen, dünnen Schnittwunden. Aber es brachte nur kurzfristig eine Art Erleichterung. Nach knapp 2 Monaten hatte ich mich soweit wieder gefangen, dass ich es nicht mehr tat. Stattdessen schrieb ich wieder. Ich schrieb und weinte wenn ich allein war.

 

Dazwischen immer wieder Phasen in denen ich den Tod herbeisehnte. Ich wollte meinen Kindern folgen. Versank in Depressionen und Selbstmitleid. Unbemerkt von allen, denn ich sprach ja nicht darüber.

Es gab nur ein Problem. Ich glaube, dass wenn ich willentlich meinen Tod herbeiführe, lande ich nicht bei meinen Kindern. Also hoffte ich einfach nur. Schlief mit dem Wunsch ein, am nächsten Morgen einfach nicht mehr wach zu werden. Wünschte mir einen nichtverschuldeten tödlichen Unfall oder ähnliches.

 

Völlig normale Reaktionen, wie ich heute weiß.

10. August 2015 - Verlustangst

 

Sieben Wochen war die letzte Sitzung nun schon her und ich freute mich wie ein kleines Kind sich auf den Weihnachtsmann freut, auf diese Sitzung.

 

Nach einer sehr herzlichen Begrüßung ging es also wieder in den mir schon so vertrauten Raum.

 

Unser heutiges Thema war Verlustangst.

 

Während meiner letzten Schwangerschaft hatte ich, seit dem Datum der Schwangerschaftsbestätigung, einen Tic entwickelt. Ich hatte ständig das Gefühl zu bluten. Es war so schlimm, dass ich Schweißausbrüche und beklemmende Angstzustände bekam, wenn ich nicht irgendwo nachschauen konnte, ob da in meinem Slip Zeichen von Blut zu sehen waren. Und jedes Mal atmete ich erleichtert auf, wenn dem nicht so war. Blos hielt die Erleichterung nicht sehr lange an. Schon bald musste ich es wieder kontrollieren.

Ich weiß nicht mehr, wie oft am Tag ich auf irgendeine Toilette gelaufen bin um nachzusehen. Es war zu oft.

 

„… Dann kam der Tag, die Schreckensstunde,

und tiefrot war das Blut …“

 

Am 08. Januar 2014 sollten meine Befürchtungen bittere Realität werden. Gegen 03:15 Uhr entdeckte ich die ersten Anzeichen von Blut in meinem Slip. Ich fuhr sofort ins Krankenhaus. Ich bemühte mich ruhig zu bleiben um vielleicht doch noch zu retten was nicht mehr zu retten war, wie ich später erfahren sollte.

Schon um 03:30 Uhr war ich im Krankenhaus und sollte Urin in einem Becher abgeben. Aber was dann mit im Becher landete, war einfach nur grausam. Mein kleines Engelchen schwamm da in einem Sud aus Blut und Urin und ich wollte einfach nur noch schreien. Hilflos und voller Selbstvorwürfe. Habe ich das durch meine ständige Angst herbeigeführt? Bin ich dafür verantwortlich?

So weh dies alles auch tat, irgendwo hatte ich die Hoffnung, dass mein 2. Engelchen alles unbeschadet überstanden hätte. Aber auch hier wurde alle Hoffnung mit dem Ultraschall zunichte gemacht. Es war nicht mehr da.

Ich war wie versteinert. Alles in mir drängte danach zu glauben es wäre nur ein böser Traum. Das alles wäre nicht passiert und ich würde gleich aufwachen und über mich selbst und meine dummen Ängste lachen. Aber es war kein Traum.

 

„… Ich konnte nichts mehr für Dich tun,

denn Du mein Schatz, warst tot. …“

 

Um 04:34 Uhr wurde ich nach Hause geschickt und erst als ich im Auto saß überrollten mich meine Gefühle. Ich weinte und schrie vor Kummer und Schmerz.

Um 05:17 Uhr rief mich das Krankenhaus an und teilte mir meinen BHCG-Wert mit. Was nützte mir jetzt noch dieser Wert? Gar nichts, denn meine beiden Kleinen waren nicht mehr da, waren ihrer Chance auf ein glückliches Leben beraubt.

 

In den Wochen danach hatte ich immer wieder Albträume. Albträume in denen ich blutete, in denen ich verblutete. Blut und immer wieder Blut.

 

Und die Erinnerungen an meine 2. Schwangerschaft kamen wieder hoch. Überrollten mich regelrecht. Auch hier war ich mit Zwillingen schwanger und wir waren so froh, dass es gleich beim nächsten Kinderwunschversuch nach der 1. Fehlgeburt wieder geklappt hatte.

Mein damaliger Ehemann war zu dieser Zeit bei der Bundeswehr und somit war ich allein zu Hause, als ich am 16.04.1996 den blanken Horror durchleben musste.

Am Morgen dieses Tages war ich in der Kinderwunschklinik zur Untersuchung und als ich nach Hause kam, frühstückte ich. Kurz darauf bekam ich Bauchschmerzen und wurde müde. Also beschloss ich mich einfach hinzulegen und ein wenig zu schlafen.

Gegen 12:30 Uhr wachte ich auf, weil ich auf die Toilette musste. Ich rutschte an die Bettkante um aufzustehen und da passierte es. Ich konnte es nicht mehr halten, es lief einfach so drauf los. Zuerst dachte ich natürlich „Iih, du Ferkel, jetzt hast Du doch tatsächlich ins Bett gepinkelt.“ und war wütend auf mich, denn welcher erwachsene Mensch macht so einfach ins Bett. Aber dann sah ich, was wirklich passiert war.

 

Überall war Blut. Dickes, rotes, klumpiges Blut.

 

Ich rannte auf die Toilette. Ich weinte, hatte Angst und war allein. Ich rief meinen Arzt an, der mir sagte, ich solle sofort ins Krankenhaus fahren.

 

In Panik rief ich als nächstes in der Kaserne meines Mannes an und da ich ihn nicht erreichen konnte, ließ ich es ihm ausrichten. Ich nannte dabei auch das Krankenhaus in das ich fahren würde.

 

Mittlerweile war ich völlig ruhig. Ich funktionierte nur noch wie ein Roboter.

 

Ich duschte, da ich ja immer noch voller Blut war. Dann säuberte ich die Wanne, die Toilette, den Fußboden und natürlich das Bett. Ich wollte nicht, dass mein Mann das ganze Blut sah.

 

Mittlerweile war ich schon wieder voller Blut, das mir die Beine hinunter lief, also wusch ich mich nochmals und benutzte 3 dicke Binden um das Blut aufzufangen.

 

Nun rief ich meinen Vater an und erzählte ihm was passiert sei, danach telefonierte ich mit meiner damaligen besten Freundin und bat sie, sich in den nächsten Tagen um unsere Tiere zu kümmern. Wir hatten einen Wellensittich und 3 Aquarien. Im Anschluss an dieses Gespräch versorgte ich die Tiere, packte eine kleine Tasche, wechselte noch einmal die Binden und ging los. Ich wollte zum Bus und ins Krankenhaus fahren.

 

Wir wohnten damals in der 4. Etage eines Altbaus im Wedding. Auf dem Weg nach unten, fiel mir ein, dass meine Bekannte aus dem 1. Stock zu Hause war. Sie besaß ein Auto und ich wollte sie fragen, ob sie mich schnell fahren könnte. Also klingelte ich bei ihr.

Sie ließ mich herein. Um uns herum fröhliches Kindergeschrei. Ihr kleiner Sohn feierte mit seinen Freunden Geburtstag.

Sie bat mich, Platz zu nehmen und ich antwortete ihr, dass ich dies nicht könne, da ich ihr sonst alles blutig machte. Blitzschnell begriff sie den Ernst der Lage und rief die Feuerwehr.

 

… und dann ging alles ganz „schnell“. Die erste Feuerwehr kam. Sie konnten mich aber nicht mitnehmen, weil sie keine Hebamme dabei hatten. Also hieß es auf die zweite Feuerwehr warten, die schon kurze Zeit später eintraf.

 

Trotz Protest, schließlich habe ich zwei Beine und kann alleine laufen, wurde ich auf eine Trage verfrachtet, nach unten getragen und in den Rettungswagen geschoben. Dort untersuchte und befragte mich die Hebamme. Als ich ihr erzählt hatte, was passiert war und dass ich oben in der Wohnung alles sauber gemacht hatte, schimpfte sie mich aus. Sie erklärte mir, dass sie das Blut hätte untersuchen müssen und das ginge nun leider nicht mehr. Während der ganzen Zeit durfte ich mich, trotz Bitten, nicht hinsetzen, sondern musste liegen bleiben.

 

Dann ging es endlich los. Sie wollten mich ins nahe gelegene Krankenhaus bringen, aber ich weigerte mich strikt. Von vielen anderen Frauen hatte ich nichts Gutes über dieses Krankenhaus gehört. Ich wollte in das etwas weiter weg gelegene Krankenhaus meines Vertrauens gebracht werden. Aber erst, als ich sagte dass mein Mann bei der Bundeswehr wäre und ihm ausgerichtet würde in welches Krankenhaus ich fahre, gaben sie nach und brachten mich in dieses.

 

Die Hebamme blieb die ganze Zeit bei mir, kümmerte sich um mich und redete beruhigend mit mir.

 

Als wir ankamen, wurde ich mit der Trage herausgehoben und auf dieser bis in den Gyn-Behandlungsraum gefahren. Dort musste ich auf eine Liege hinüberrutschen.

 

Ich wurde auf dieser nochmals von einer Frauenärztin untersucht und sollte im Anschluss daran auf den Gyn-Stuhl, welcher ungefähr 3 Meter von der Liege entfernt stand. Also stand ich auf und lief hinüber.

 

Flatsch.

 

Ein riesiger Blutklumpenfleck landete auf dem Boden. Ich bekam Panik, entschuldigte mich zig Mal für diese „Sauerei“ und wollte es sauber machen. Ich weinte, zitterte, hatte panische Angst. Ich konnte nicht mehr, war am Ende meiner Kräfte.

 

Die Ärztin untersuchte mich und entschied: Sofortige OP (Abortcuretage). Mein Blutverlust wäre einfach zu hoch und ich würde sonst verbluten.

 

Dann ging alles sehr schnell. Während ich auf einer Trage Richtung OP-Raum gefahren wurde, rief die Ärztin nochmals in der Kaserne meines Mannes an. Noch bevor ich den OP erreicht hatte, holte sie uns ein und erzählte mir, dass er bereits auf dem Weg nach Berlin war.

 

Und schon war ich im Anästhesieraum. Ich hatte Angst. Mein linker Arm war dicht an meinem Körper in einer Schlaufe gefangen, meine Beine festgeschnallt auf den Gyn-Beinschienen. Ich bekam die Anästhesie und mir wurde schlecht und alles versank im Nebel.

 

Als ich aufwachte, war ich sofort hellwach. Ich befand mich wieder auf der gleichen Station wie bei meiner ersten Fehlgeburt. Die gleichen Schwestern, die gleichen Ärzte. Bis auf leichte Bauchschmerzen ging es mir gesundheitlich gut. An den Rest wollte ich nicht denken.

 

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Zurück in die Gegenwart, zurück zum heutigen Tag.

 

Es tat so gut über all diese schlimmen Erlebnisse reden zu können. Es war, als ob mir eine zentnerschwere Last von den Schultern genommen würde.

 

Meine Verlustangst habe ich durch das Erzählen natürlich noch nicht besiegt, aber es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich muss lernen zu akzeptieren, dass ich nicht alles beeinflussen kann, dass manche Dinge nicht in meiner Macht liegen. Ich muss lernen dem Leben und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen. Und ich muss lernen loszulassen wenn es nicht anders geht. Und dieses Loslassen bezieht sich nicht nur auf meinen Kinderwunsch, denn meine Verlustangst hat sich in meinem ganzen Leben breit gemacht.

 

Die Vorstellung z.B. meinen kleinen Neffen nicht mehr regelmäßig um mich zu haben, jagt mir eine Heidenangst ein. Ich hoffe natürlich sehr, dass es nie so weit kommt, aber sollte sich meine Schwester entschließen einmal weg zu ziehen, und ich meine damit keinen Umzug innerhalb der Stadt, dann muss ich es akzeptieren und das Beste daraus machen.

 

Und selbiges gilt für alle Bereiche meines Lebens.

27. August 2015 - Verworrene Gefühle

 

Das heutige Thema schriftlich zu fixieren, fällt mir nicht leicht. „Sei Dir selbst eine gute Mutter!

 

Ich bin mir selbst keine gute Mutter. Viel zu selten tue ich Dinge, die nur mir gut tun. Mein Leben dreht sich eigentlich zum Großteil um andere Menschen. Um meinen Lebenspartner, um meinen Neffen, um die Kinder in meiner Kindergartengruppe, und so weiter.

 

Was mache ich eigentlich gern? Was tut mir gut? Ich habe lange nicht mehr darüber nachgedacht. Und ich habe es eigentlich auch meistens nicht vermisst.

 

Immer etwas tun, nicht zur Ruhe kommen, verhindert, dass man zu sehr grübelt. Es verhindert, sich sowohl mit traurigen Gedanken, als auch mit dem eigenen Leben auseinander zu setzen.

 

Früher habe ich gern gelesen, gemalt, gestickt, gestrickt, fotografiert, mich mit Freunden getroffen, gefeiert. Heute drücke ich mich gern vor größeren Treffen. Zu viel heile Welt. An manchen Tagen aushaltbar, an anderen nicht.

 

Was ist geblieben? Ich schreibe noch immer, und das auch gerne. Ich lese, wenn ich die Zeit dazu finde und manchmal, an guten Tagen, ziehe ich mit meiner Kamera los und fotografiere. Das macht mich glücklich.

 

Sei Dir selbst eine gute Mutter!

 

Aber wie stellt man das an, wenn man sich doch eigentlich gar nicht als richtige Frau sieht, wenn man sich wertlos und ungeliebt fühlt? Wenn dieses Gefühl mit jeder Fehlgeburt weiter verstärkt wird?

 

Der Kopf weiß ja eigentlich, dass man all dies nicht ist. Man ist NICHT wertlos und man ist auch NICHT ungeliebt. Und trotzdem ist da dieses Gefühl. Und plötzlich tut man nichts mehr für sich, lässt sich gehen. Ein Teufelskreis. Manchmal gelingt es, ihn zu durchbrechen, dann fängt man an, Dinge zu tun, die nur für einen selbst sind. Und für eine kurze Zeit fühlt man sich besser.

 

Bei mir haben diese Phasen nie lange angehalten.

 

Ich kümmere mich um tausend Sachen. Um Werbung für mein Buch, in der Hoffnung, dass es anderen in ihrer Trauer hilft. Um das Forum meines kleinen Neffen, der an der Ahornsirupkrankheit leidet, in der Hoffnung, dass sich hier andere Betroffene dieser seltenen Krankheit zusammenfinden, ihre Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig helfen können. Um kleinere und größere Projekte für die Kinder meiner Kindergartengruppe. Um meine Eishockeywebseite. Um Fanartikel und deren Produktion für meinen Lebensgefährten. Für so viele kleine und große Dinge. Hauptsache Beschäftigung.

 

Aber: ich mache es doch eigentlich gerne. Ist das dann so falsch?

 

Eine große Ausnahme gibt es aber auch bei mir. Wenn mein kleiner Neffe bei mir ist, rückt alles andere in den Hintergrund. Dann steht er an erster Stelle. Und das wichtigste: ICH bin glücklich.

 

Sei Dir selbst eine gute Mutter!

 

Darüber nachzudenken, ist gar nicht so einfach. Wann bin ich mir selbst denn eine gute Mutter?

 

Ich freue mich, wenn ich anderen helfen kann. Ich freue mich, wenn ich die Augen der Kinder aus meiner Gruppe vor Freude leuchten sehe. Ich freue mich über viele Reaktionen anderer auf das was ich tue.

 

Und trotzdem ist mein Selbstwertgefühl nicht das Beste.

 

Liegt mein schlechtes Selbstwertgefühl nur daran, dass ich das Gefühl habe immer wieder verlassen zu werden? Verlassen von Menschen, die ich über alles liebe und liebte. Zum Teil weil sie es so wollten, wie mein Ex-Mann, zum Teil weil es nicht in ihrer oder meiner Macht stand zu bleiben, so wie bei meinen Kindern.

 

Bin ich wirklich weniger wert weil ich „krank“ bin, weil ich nicht in der Lage bin meinem Kind sein Leben zu schenken?

 

Mein Kopf sagt NEIN.

 

Widersprüchliche Gefühle. Komisch.

 

Sei Dir selbst eine gute Mutter!

 

Wie kann ich das umsetzen? Theoretisch ganz einfach: jeden Tag eine Kleinigkeit für mich machen. Ein Spaziergang mit meiner Kamera, ein heißes Bad im Kerzenlicht, ein Buch auf einer Decke am Strand oder auf der Wiese lesen, den Seidenmalrahmen vom Hängeboden holen und malen, und so weiter.

 

Ich glaube, sich selbst eine gute Mutter sein heißt nicht, alles andere nicht mehr zu tun. Denn auch das gehört zu mir. Sich selbst eine gute Mutter sein bedeutet für mich, auf meine Gefühle zu achten, auf meine Gesundheit zu achten, auf mich zu achten und auch, mein Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. Und das wird schwer.

 

18. September 2015 - Innere Bilder

 

Ich war heute ziemlich k.o. direkt nach der Arbeit zu meinem 6. Termin gefahren. Aber obwohl ich ziemlich ausgelaugt war, freute ich mich auf meine Sitzung.

 

Bewaffnet mit einem „Muntermacher-Tee“ bezogen wir unsere Plätze im nun schon so vertrauten kleinen Zimmer.

 

Wir sprachen darüber, wie es mir seit der letzten Sitzung ergangen war und gingen dann noch einmal zum Thema des 10.08.2015 zurück. Wir sprachen über das Erlebte und meine Therapeutin schlug vor, es heute mit „Inneren Bildern“ zu versuchen. Hierzu zuvor eine kurze Erläuterung:

 

Unser Gefühlsspeicher - Das limbische System

 

Unsere Erlebnisse und Erfahrungen werden unbewusst sortiert und mit bisherigen Inhalten verknüpft und so in unserem Gedächtnis gespeichert. Bei einem erlebten Trauma speichert unser limbisches System hingegen ALLE mit dem Trauma in Zusammenhang stehenden Einzelheiten wie z.B. Sinneseindrücke, Gedanken, Gefühle. Dies führt dazu, dass zu einem späteren Zeitpunkt jederzeit eine Kleinigkeit wie z.B. ein bestimmter Geruch, eine bestimmte Geste, ein bestimmter Ton, eine bestimmte Situation, etc. pp. ausreichend ist, um das Gefühl zu bekommen alles noch einmal zu erleben. Man reagiert z.B. mit Angst, Atemnot, Zittern oder anderen ungewöhnlichen Reaktionen.

 

Bei mir war der Auslöser die positive Bestätigung der Schwangerschaft. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich ständig das Gefühl zu bluten (siehe Eintrag vom 10.08.2015 Thema TIC).

 

Dialog mit inneren Bildern

 

Durch den Dialog mit meinen inneren Bildern könnte ich lernen mit der Vergangenheit anders umzugehen, meine Erinnerungen besser „auszuhalten“, mich nicht mehr „machtlos“ zu fühlen.

Im Traum, auch im Wach-Traum, werden Erinnerungen neu sortiert und im Langzeitgedächtnis gespeichert. Durch die geschützte Atmosphäre bei meiner Therapeutin verlieren so die Erinnerungen hoffentlich ihre „Bedrohung“ für mich.

Die zusätzliche Begleitung der taktilen Gehirn Hemisphären Stimulation soll unterstützend dabei helfen die schlimmen Erinnerungen an neutrale Reize zu koppeln.

 

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Doch nun zurück zur heutigen Sitzung:

 

Meine Therapeutin bat mich, die Augen zu schließen und an die Situation vor 19 Jahren, an meine 2. Schwangerschaft zu denken, die Erinnerungen hervorzurufen.

 

Ich schloss die Augen und sah das Behandlungszimmer vor mir. Die Liege, den Tisch und den Stuhl der Ärztin, den Untersuchungsstuhl, die weißen Wände, die hellen Fenster mit den weißen Lamellen davor, den Fußboden. Ich sah mich auf der Liege liegen, das heißt, ich wusste, ich spürte, dass ich es war. Ich trug einen Krankenhauskittel.

 

„Setz Dich auf und schau Dich um.“

 

Ich sah mich nun sitzend, allerdings sah ich nur die Beine und einen Teil des Oberkörpers. Es wirkte fast so, wie ein abgeschnittenes Foto.

Ich selbst „schwebte“ durch den Raum. Ich befand mich zwischen Wand und Untersuchungsstuhl.

 

„Kannst Du die Beine berühren?“

 

Ich wollte es versuchen, wollte näher an mein „Traum-Ich“ heran, aber ich schaffte es nicht. Irgendetwas hielt mich davon ab. Immer wenn ich die Entfernung zwischen Wand und Untersuchungsstuhl überwunden hatte, floh ich wieder nach hinten an die Wand zurück.

Mein ich stand nun auf und lief zum Untersuchungsstuhl und genau so wie es damals passierte, flatschte wieder ein Blutklecks auf den Boden.

Der Raum verschwand in weißem Nebel, ich sah nur noch den Fleck, spürte nur noch das Entsetzen.

Der Fleck verändert sich. Er hatte lauter klumpenartige Erhebungen. Ich schwebte heran um es mir genauer anzusehen, aber er veränderte sich schon wieder. Ich sah einen tiefen, bodenlosen Abgrund. Blutrot, brodelnd. Aus den Wänden ragten Tentakel. Ich spürte Verzweiflung, Angst, aber auch Neugier. Ich wollte wissen wohin er führte, was sich am Grund befand. Ich war fast da um hinunterzuschauen, aber schon wieder änderte sich das Bild.

In dem Fleck stand nun ein großes Honigglas. So eines, wie es früher verwendet wurde, mit einem Gummiring zwischen Deckel und Glas und einem Schnappverschluss aus silbernem Metall. Der Honig ist goldgelb und blubbert in dem Glas. Er wirft heiße Blasen an die Oberfläche. Vom Fleck selbst war nur ein schmaler Rand zu sehen und der war irgendwie ohne Farbe.

 

Während des Wach-Traumes erzählte ich meiner Therapeutin, die mich verbal durch den Traum begleitete und führte, was ich sah und wie ich mich fühlte.

Als der Honigtopf auftauchte sagte ich „bescheuert“. Es war für mich so unlogisch und dadurch peinlich. Meine Therapeutin erklärte mir jedoch, dass nichts logisch sein muss, dass unser Gehirn seine eigenen Wege hat um Erlebnisse und Erinnerungen zu verarbeiten und dass ich die Bilder einfach annehmen soll, so wie sie kommen.

 

Und obwohl mir diese Situation unendlich peinlich war und dieser Topf mir Angst machte, war ich doch gleichermaßen fasziniert von ihm. Ich beobachtete die blubbernden Blasen bis das Bild verblasste und ich in das Hier und Jetzt zurückkehrte.

 

Wir sprachen im Anschluss an den „Wach-Traum“ noch über das Erlebte und beschlossen, dies bei unserem nächsten Termin noch einmal zu versuchen.

 

Jetzt beim Schreiben denke ich, dass der Honigtopf auf jeden Fall nicht mehr so schrecklich war, wie das davor gesehene. Vielleicht beginne ich ja den Schrecken von damals zu „vertreiben“. Ich hoffe es und bin gespannt auf meine nächste Sitzung.

09. Oktober 2015 - Wingwave & Brainspotting

 

Die heutige Sitzung hatte ich herbeigesehnt. Ich war traurig und wollte meine Gedanken „loswerden“.

 

Vor vier Tagen bekam ich eine Nachricht, die mich sehr traurig machte und seit dem meine Gedanken nicht mehr los lies.

 

Um sie nachvollziehen zu können, muss ich mit der Geschichte früher anfangen, nämlich am 23. Juni diesen Jahres.

 

An diesem Tag bekam ich, nach einem Eintrag von mir in einer Sternchengruppe bei Facebook, eine Freundschaftsanfrage von einer Frau, die ich annahm. Kurz darauf schrieb sie mich an und nach einem kurzen Geplänkel fragte sie mich, ob ich immer noch Kinderwunsch hätte.

Ich antwortete ihr: „Ich glaube dieser Wunsch geht nie ganz weg. Ich würde also lügen, wenn ich nein sagen würde.“.

Daraufhin schrieb sie mir, dass sie reden müsse und ob wir kurz telefonieren könnten, was wir dann auch taten. Sie erzählte mir in kurzen Zügen ihre Situation und fragte mich dann, ob ich ihr Kind, mit dem sie gerade schwanger sei, haben möchte. Sie wäre absolut gegen Abtreibung und hätte sich deshalb für diesen Weg entschieden.

Nachdem meine erste Sprachlosigkeit verflogen war, sagte ich zu, zumal eine "normale" Adoption dank unseres Jugendamtes nicht möglich ist und eine offene Adoption so zu sagen meine einzige Chance darstellt. Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Ich hatte Angst, dass alles nur ein Traum wäre, aus dem ich nur allzu schnell wieder erwachen würde.

 

Zwei Tage später wollte sie Bilder vom Kinderzimmer sehen und ich schickte ihr welche.

 

Anfang Juli bat ich sie um ein Ultraschallbild. Am 7. Juli schickte sie mir dann eines, aber ohne Datenrand. Auf dem Bild war die Messung der Gebärmutterschleimhaut zu sehen.

 

Am 13. Juli schrieb sie, sie hätte leichte Blutungen bekommen. Ich schrieb ihr, dass sie zum Arzt fahren soll. Sie meinte, der würde nichts tun und sie würde Utrogestan schlucken.

Am nächsten Tag ging sie dann doch zum Arzt. Sie schrieb nach dem Termin: "Den Babys gehts gut."

Es waren zwei. Die Blutung käme von einem geplatzten Hämatom.

 

1. August: Sie schickte mir Fotos ihrer kleinen Tochter. So könne ich sehen, wie die Kinder später eventuell aussehen werden.

 

Danach fingen die "Ausweichungen" an. Bis auf "Den Kindern gehts gut" und privaten Alltagsdingen erzählte sie nichts mehr, sondern wich meinen Fragen eher aus.

Zum Beispiel: ich: "Wann hast Du den nächsten Termin?", sie: "Muss ich gucken.".

 

Ende August erkundigte ich mich beim Jugendamt, wie eine offene Adoption funktioniert. Man erklärte mir, dass sie sich bei ihrem zuständigen Jugendamt melden müsse und dieses dann alles weitere in die Wege leitet. Nach der Geburt würde ich die Kinder erst einmal als „Adoptionspflege“ bekommen, bis die endgültigen Adoptionspapiere bei Gericht unterzeichnet wären.

 

Anfang September bat ich sie dann, Kontakt mit dem Jugendamt aufzunehmen, damit dieses alles weitere in die Wege leiten könnte. Dafür schickte ich ihr meine kompletten Daten, die sie brauchen würde. Von ihr wusste ich bis dahin nur ihren Vornamen, dass sie in der Nähe von Stadt XY wohnen würde, wie es zu der jetzigen Schwangerschaft gekommen war und dass sie zwei kleine Kinder bereits habe.

Auf meine Nachfrage, ein paar Tage später, erfuhr ich, dass sie sich nicht darum gekümmert hatte. Sie schrieb, sie wäre umgekippt und blau angelaufen und ins Krankenhaus gekommen. Sie bekäme Infusionen und Sauerstoff. Eine Diagnose wäre wohl noch nicht gestellt.

Sie schickte mir ein Foto, auf dem ein Teil ihres Bauches und ihre Beine zu sehen waren.

 

Am 10. September fragte ich sie, wie sie richtig mit Nachnamen heißen würde. Sie antwortete mir.

An diesem Tag schrieb sie auch, dass sie eine Lungenembolie hätte. Sie hätte einen Blutstau in der Lunge und es würde ein Propfen fest sitzen.

 

Die ganze Zeit über machte ich mir Sorgen um sie. Sie tat mir so unendlich leid. Ihre ganze Geschichte und jetzt auch noch so was.

 

Am 13. September schrieb sie mir, sie hätte sich selbst entlassen, da die Ärzte so unkompetent seien. Sie müsse jetzt Blutverdünner nehmen.

Ich schrieb ihr, dass ich das nicht gut finde, dass sie sich selbst entlassen hat und dass ich das ganz schön gefährlich finde.

Sie meinte, im Krankenhaus würde man auch nichts machen, außer Medikamente geben und die könne sie auch zu Hause nehmen. Ihre Mutter würde zu ihr kommen.

Zwischenzeitlich hieß es "Den Kindern gehts gut."

 

Als ich sie nach der aktuellen Schwangerschaftswoche fragte, wich sie mir aus. Sie wisse es gerade nicht. Sie müsse nachsehen.

 

Irgendwann nannte sie mir dann mal eine Schwangerschaftswoche, als sie erzählte, dass sie die beiden früher holen lassen wollte. Das Blöde daran war nur, dass diese Woche um 7 Wochen von einer früheren Auskunft abwich. Ich sagte erst einmal nichts dazu, aber ich war total verunsichert.

 

Die Unsicherheit und Zweifel in mir wuchsen und so bat ich sie Ende September nochmals um ein aktuelles Ultraschallbild oder Fotos vom Mutterpass. Sie sagte, sie würde keine Fotos von ihrer Frauenärztin bekommen.

 

Am 27. September schickte sie dann ein Foto vom geschlossenen Mutterpass auf dem ihr Name stand.

 

Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich gern mehr wissen möchte, da ich ja nur das wüsste, was sie mir erzählte. Ich kenne sie ja nicht persönlich. Ich möchte schon wissen, ob die Untersuchungen gemacht wurden, wie sich die beiden entwickeln usw.

Sie antwortete mir, dass sie versuchen würde keine Bindung zu den Kindern aufzubauen und deswegen noch nie in den Mutterpass geschaut hätte und auch nicht auf den Monitor beim Arzt schauen würde.

Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich auch langsam planen müsse. Immerhin müssen ja einige Dinge besorgt werden und ich müsse ungefähr wissen, ab wann ich auf Arbeit ausfallen würde, usw.

 

Am 30. September sah ich, dass die Facebookfreundschaft nicht mehr bestand. Auf mein Nachfragen bei ihr, schrieb sie, dass wir eigentlich noch befreundet sein müssten.

 

Am 4. Oktober schrieb sie, dass sie einen Rückzieher macht, da sie meinen Forderungen nicht gerecht werden könne und dass sie sich deshalb für die geschlossene Adoption entschieden hätte, dann müsse sie sich nicht mehr mit dem ganzen Thema befassen. Es hätte nichts mit mir zu tun.

 

Ich versuchte ihr nochmals meine Seite zu verdeutlichen. Ich schrieb ihr, dass ich sie nicht persönlich kennen würde und somit nicht einschätzen könne, wie alt das von ihr gesendete Foto wäre, dass ihre Angabe der SSW um 7 Wochen abweichen würde, und so natürlich Ängste und Zweifel entstehen würden.

 

Darauf kam keine Antwort mehr.

 

Ich habe die ganze Zeit versucht noch keine Gefühle da hinein zu stecken, hab mir nicht erlaubt mich zu freuen. Hab versucht das ganze nüchtern und sachlich zu betrachten.

Oft hatte ich das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt, aber irgendwie war da auch der Wunsch, dass das alles kein Traum wäre.

 

Hatte ich sie jetzt doch zu sehr nach einem „Beweis“ gedrängt? Hatte ich mich falsch verhalten und damit alles zunichte gemacht? Oder stimmte die ganze Geschichte nicht? Die Zweifel und Schuldgefühle machten mich fertig.

 

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Nachtrag:

Am 25. Oktober wollte ich endlich Gewissheit haben und rief jemanden an, der es wissen musste. Ich erfuhr: Nein, sie ist nicht schwanger, plus ein paar andere Details, auf die ich hier nicht eingehen möchte.

 

Ich war wütend, verwirrt, traurig. Warum geht jemand so mit dem Schicksal anderer um? Warum macht man so etwas? Ich wollte Antworten und rief sie an. Sie stritt alles ab, behauptete weiterhin, sie wäre schwanger.

 

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Es tat so gut endlich mit jemandem über all dies zu reden. Meine ganzen Zweifel und Ängste loszuwerden.

 

Nach einer kurzen Pause konnte ich mich dann auch wieder auf den eigentlichen Grund der Therapie konzentrieren.

 

Meine Therapeutin erkundigte sich, wie es mir das letzte Mal mit den inneren Bildern gegangen sei und fragte, ob wir es noch einmal damit versuchen wollten. Ich wollte.

 

Heute sollte ich jedoch nicht meine Augen schließen, sondern sie offen halten und der Hand bzw. den Fingern meiner Therapeutin folgen.

 

Wingwave

 

Unsere gemachten Erfahrungen und Erlebnisse verarbeiten wir in der sogenannten REM-Phase (Traumphase) während wir schlafen. Unsere Augen bewegen sich während dieser Zeit hinter den geschlossenen Lidern schnell hin und her.

 

Im Wingwave werden „wache“ REM-Phasen erzeugt, indem man den schnellen, horizontalen Handbewegungen des Therapeuten folgt. Dadurch bewegen sich die Augen, ähnlich schnell wie in der REM-Phase und Blockaden und Stress können verarbeitet werden.

 

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Dies nur kurz zur Erläuterung.

 

Meine Therapeutin fragte, ob ich eine für mich schlimme Erinnerung so hervorrufen könne, dass auch meine damaligen Gefühle dieser Situation wieder da wären. Diese Gefühle sollte ich versuchen festzuhalten, bzw. zu spüren. Dabei sollte ich ihrer Hand mit den Augen folgen, allerdings ohne dabei meinen Kopf zu bewegen.

 

Ich brauchte nicht lange suchen. Blut, Panik, Angst, die Erinnerungen kamen. Ich war wieder im Krankenhaus. Schwanger, aber mit Blutungen. Ich lag in einem Zweibettzimmer und meine Zimmernachbarin war ebenfalls schwanger. Mitten in der Nacht bekam sie starke Blutungen, so stark, dass ich das Blut im Bett sehen konnte. Sofort waren wieder meine eigenen Bilder in meinem Kopf. Ich sah mich selbst wieder blutverschmiert im Untersuchungszimmer liegen. Angst und Panik. Angst, dass auch diese noch bestehende Schwangerschaft kein gutes Ende nehmen würde.

Meine Zimmernachbarin sollte sofort operiert werden und ein Pfleger holte sie ab. Wie es mir ging, war Nebensache. Sie war, auch in meinen Augen, wichtiger.

Aber es dauerte nicht lange und der Pfleger stand mit dem Bett und ihr wieder oben im Zimmer. Wieder sah ich das ganze Blut. Durch Zufall bekam ich mit, wie der Pfleger aufgeregt telefonierte. Es hieß, derjenige, der die Schleuse zum OP-Bereich öffnen sollte würde wohl schlafen und die Schleuse nicht öffnen. Jemand solle sich darum kümmern, die Frau würde sonst verbluten.

Kurz danach wurde sie erneut abgeholt und kam auch nicht wieder.

Ich rief in voller Panik meinen Mann an. Ich wollte hier auf keinen Fall bleiben. Ich wollte in das „alte“ Krankenhaus. Ich hatte kein Vertrauen mehr in dieses.

Doch ich musste bis zum nächsten Morgen warten. Eine Entlassung mitten in der Nacht war nicht möglich. Am Morgen hieß es dann (sinngemäß): „Wenn sie sich jetzt hier selbst entlassen, nimmt sie kein anderes Krankenhaus auf.“

Aber das stimmte nicht. Ich wurde in meinem alten Krankenhaus wieder aufgenommen. Leider endete die Schwangerschaft trotzdem wieder mit einer Fehlgeburt.

 

Während der ganzen Zeit folgte ich der Hand meiner Therapeutin, bis ich die Situation nicht mehr aushielt und abbrach.

 

Ich brauchte eine Pause, die sie mir auch gab. Anschließend sprachen wir über alles.

 

Meine Therapeutin meinte, ich hätte gut auf die neue Methode reagiert und wenn ich es mir zutrauen würde, würde sie gern noch einmal etwas Ähnliches ausprobieren, da sie bemerkt hätte, dass bei bestimmten Punkten meine Augenreaktionen schneller oder langsamer geworden wären.

 

Brainspotting

 

Über die Blickrichtung können Gedächtnisinhalte und neuronale Korrespondenzen gezielt aktiviert und neu verarbeitet werden. Als Brainspot bezeichnet man das mit der Augenposition einhergehende Muster der Hirnaktivität. Dabei wird der Punkt gesucht, an dem der zu verarbeitende Inhalt am stärksten zum Vorschein kommt.

Im Gegensatz zum Wingwave wird beim Brainspotting die Verarbeitung nicht durch die Augenbewegung, sondern über die Augenfixierung an bestimmten Positionen angeregt.

 

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Zurück zur heutigen Sitzung:

 

Ich sollte nun versuchen, mich an ein bestimmtes emotionales Gefühl zu erinnern und dies zu halten und zu spüren. Ich musste automatisch an meinen Tic aus der letzten Schwangerschaft denken, dem ständig aufkommenden Gefühl zu bluten. Und ich weiß nicht wie, aber ich konnte das Blut zwischen meinen Beinen spüren. Wahrscheinlich, weil ich selbst die Erinnerung daran endlich zuließ. Ohne große Anstrengung konnte ich dieses Gefühl halten und dabei mit den Augen dem Stab in der Hand meiner Therapeutin folgen. Dabei sollte ich ihr ein Zeichen geben, wenn ich merkte, an welcher Blickposition das Gefühl am stärksten war. Dies tat ich auch.

 

Zwischendurch stellte mir meine Therapeutin auch Fragen, aber ich ging fast nie darauf ein. Ich hatte Angst, dass wenn ich ihr antworten würde, ich den Kontakt zu meinen Gefühlen oder den Blickkontakt auf den Stab verlieren würde.

 

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber auch hier musste ich irgendwann abbrechen, da ich an meine Grenzen stieß.

 

Am Ende der Sitzung erklärte mir meine Therapeutin, dass man im Brainspotting auch einen zweiten Brainspott einsetzen kann, der mit Positivem geladen ist. Hier kommt wieder mein Rettungsanker ins Spiel, mein kleiner Neffe.

 

Erschöpft, aber gespannt auf die nächste Sitzung, verabschiedete ich mich für heute.

 

13. Dezember 2015 - Sternenkinder Weltgedenktag

 

Am heutigen Sonntag war es wieder so weit. Ein Licht ging um die Welt und erinnerte an all' unsere Sternenkinder.

 

Von 19:00 bis 20:00 Uhr entzündeten wir eine von außen gut sichtbar im Fenster aufgestellte Kerze für unsere Kinder und zeigten so, dass sie tief in unseren Herzen weiterleben und nicht vergessen sind.

 

Durch die verschiedenen Zeitzonen entstand so ein Lichterband, welches rund um die Welt ging. Denn egal wo wir leben, der Schmerz über den Verlust unserer Kinder ist überall gleich.

 

Auch für jedes meiner Sternchen leuchtete heute ein kleiner Lichterstern im Fenster.

12. Januar 2016 - Letzte Reise

 

Heute trat mein geliebter Lebensgefährte seine letzte Reise an.

 

Ich bin verzweifelt und traurig. 48 ist nun wirklich kein Alter um von dieser Welt zu gehen.

 

Ich weine. Ja, ich kann es wieder. Ich kann meine Gefühle zulassen und ich werde sie zulassen. Es tut so weh.

 

Nie wieder kann ich ihm in seine Augen blicken, die so frech funkelten. Sternenauge habe ich ihn oft genannt.

 

Nie wieder seine Stimme hören, nie wieder mit ihm lachen oder streiten. Nie wieder gemeinsam den Alltag meistern oder dem Alltag entfliehen.

 

Wir hatten noch so viel vor. Wie oft sagte er zu mir, dass er uns beide alt und grau auf der Hollywoodschaukel sitzen sähe. Sein Platz bleibt nun leer, so leer, wie ich mich fühle.

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Alle Texte © Miranda Rathmann